Am 23.08.2001 um 4:30 Uhr wurde auf der Hörnlihütte der
Dieselgenerator angestellt, es gab wieder Strom und damit auch Licht. Der Hüttenwirt kam zum Wecken, hätte er aber nicht gemusst, wir waren eh schon hell wach und beobachteten die ersten Bergsteiger in der Ostwand, gut zu erkennen an ihren
hellen Kopflampen.Zum Frühstück gab es heißes Wasser mit löslichem Kaffee, Aufstrich und Brot. Es war kaum Zeit dieses zu genießen, wir, Christoph und ich, mussten los. Noch einmal wurde das Wetter gecheckt, die Kleiderordnung angepasst und
ab ging’s, 1218 Höhenmeter lagen vor uns.
4:50 Uhr den von Christoph gepackten Rucksack (minimal Gewicht) geschultert, den Klettergurt gut fest gezurrt und per Seil miteinander verbunden ging es in der Dunkelheit dem Sonnenaufgang
entgegen hinauf zur Solvayhütte. Wir kamen zügig voran, überholten Seilschaften und begegneten Andere, die den Abstieg bis zur Hütte am Vortag nicht mehr geschafft hatten und in der Ostwand übernachten mussten.
Seilschaften ohne
Bergführer versuchten uns zu folgen, doch aufgrund hervorragender Klettertechnik verloren diese nach nur wenigen Metern den Anschluss. Durch die Ostwand, dann über den Grat, über „älwe Fad“, „Eselstritte“, „Fülegg“, „Gebiss“ und „untere
Moseley-Platte“ erreichten wir um 6:40 Uhr die Solvay-Nothütte, Zeit um sich zu orientieren und um etwas zu trinken. Der Blick zum Gipfel sagte mir, haushalte mit deinem Mineralgetränk (3 der 6 Becher mussten es trotzdem sein), der Weg ist
noch weit. 740 Höhenmeter in 2 Std. lagen hinter uns, was noch kommt sind 478 Höhenmeter in noch mal 2 Std., das gab zu denken.
Nach der „oberen Moseley-Platte“ folgte der „untere rote Turm“, die Kräfte ließen bedenklich nach. Eine kurze
Regenerationspause gab es kurz vor der „Schulter“, als bei herrlichem Sonneschein mit atemberaubendem Tiefen- und Panoramablick die Steigeisen angelegt wurden. Ich trank noch einen Becher, übrig blieben 2 Becher und ein endlos scheinender
Weg bis zum Gipfel. Leichte Kost war angesagt, ich versuchte mich an meinem Powerriegel, konnte ihn aber nicht schlucken, musste das Häppchen im Berg lassen (Hungerast).
Den Eis- und Schneefeldern der „Schulter“ folgte der „Schneegrat“,
danach ging es über den „Felsgrat“ zum „oberen roten Turm“. Bevor die kräfteraubende Kletterei an den „Fixseilen“ begann musste noch einmal Kraft getankt werden. „Christoph, ich brauche eine Pause“, „mach du mal Pause, aber wir klettern
schon mal weiter“, es gab keine Pause, die Kraft und der Wille mussten einfach so kommen. An dieser Stelle hat Christoph mich mental und psychisch den Berg hinaufgezogen, ich war kurz davor mich zu fragen, warum das Ganze?
Den Gipfel
180m vor Augen, bekommt man auf einmal unglaubliche Kräfte, man merkt die gefrorenen Finger nicht, der Sturm stört nicht mehr, den Abgrund unter einem verschwindet, man will jetzt nur noch hoch ! Die „Fixseile“ waren geschafft, was jetzt
folgte waren das „untere und obere Dach“, noch 15 Minuten bis zum Gipfel sagte Christoph, das motivierte und verlieh Flügel.
Um 8:40 Uhr waren wir an diesem Tag als dritte Seilschaft auf dem Schweizer-Gipfel 4478 m über NN, keine
4 Stunden hat der Aufstieg gedauert. Mein Getränk war aufgebraucht, essen konnte ich nicht, ich bekam keinen Bissen herunter.
Jetzt kann ich bestätigen, dass der Grat wie eine stumpfe, rostige Rasierklinge ist, auf dem sich alle, außer
die Bergführer, gebückt und tastend fortbewegen. Im Süden fällt man nach Italien, im Norden in die Schweiz und das über 2500m tief.
15 Minuten genossen wir, ich sitzend und Christoph stehend, den einmaligen Rundumblick über die Alpen,
Ich hatte Mühe zu realisieren, was mit mir geschehen war.
Der Abstieg verlief ohne weitere Zwischenfälle, meine Kräfte waren am Ende, ich hatte unglaublichen Durst. Vorwärst ging es den Berg hinunter, immer die rettende Hörnlihütte in
Sichtweite, aber noch 3 endlose Stunden entfernt. In einigen Passagen musste ich mich abseilen, dann wieder klettern und sichern, so das Christoph nachkommen konnte. Wir kamen zu dem Felsen, an dem wir beim Aufstieg unsere
Stirnlampen deponiert hatten um Gewicht zu sparen. Christoph war überrascht, dass ich mir die Stelle gemerkt hatte, das können nicht viele, sagte er. Ein kühles Blondes vor Augen, die Hütte zum Greifen nahe beflügelte mich noch einmal, 15
Minuten schätzte ich. Nein, nein, sagte Christoph, bestimmt noch 45 Minuten bis zur Hörnlihütte. Es galt weiter durchhalten, wir waren jetzt gut 7 Stunden unterwegs.
Dann auf einmal konnte ich meinen Vater auf dem Gletscher am Einstieg
ausmachen und ihm zuwinken, auch er sah uns jetzt und freute sich mit mir, dass ich den Aufstieg geschafft hatte.
Zu Dritt gingen wir zurück zur Hütte. Ich hatte Juliane versprochen sie vom Gipfel aus anzurufen, in der Aufregung habe ich
nicht daran gedacht, hätte es mit meinen gefrorenen Fingern auch nicht gekonnt, Um 12:30 holte ich es nach, die Freude, dass ich es auf den Gipfel geschafft hatte und gesund zurück war, war groß.
Da war doch noch etwas, ein kühles
Blondes, das musste sein. Bevor wir uns auf den Abstieg nach Schwarzsee machten, ließen wir drei uns noch einmal fotografieren. 1,5 Stunden später saßen wir in der Seilbahn nach Zermatt und tranken zusammen mit Juliane und meiner Mutter
noch ein kühles Blondes bei Christoph’s Mutter auf der Sonnenterrasse, natürlich mit Blick auf das Matterhorn, aber irgendwie ist der Berg anders, kleiner oder so.